Das Viertel gleich am Arno
WASSER, BAUKUNST UND HISTORISCHER FUßBALL
Das Viertel „Santa Croce“ liegt im Osten von Florenz. Es hat sich um Santa Croce, die Kirche vom Heiligen Kreuz, herum entwickelt: eine Kirche, die in der Mitte des 13. Jh. von den Franziskanern gegründet wurde.
Als die Ordensbrüder in diese damals am Rande der Stadt gelegene, sumpfige und arme Gegend kamen, versuchten sie das zu nutzen, was hier in großen Mengen vorhanden war: das Wasser.
Dieses Viertel liegt eben direkt am Arno, der die Stadt im Laufe seiner Geschichte immer wieder mit mal leichteren, mal schlimmeren Überschwämmungen heimgesucht hat. Auf den Mauern der Stadthäuser an der Westseite des Platzes hat man die Wasserstände eingezeichnet, die der Fluss in vergangenen Jahrhunderten immer wieder bei Hochwasser erreicht hat: bis zu der schrecklichen Überschwämmung vom 4. November 1966, die heute noch in aller Munde ist.
Im laufe der Zeit, dank immer neuer Erfahrungen und mit viel Fantasie entwickelten die Ordensbrüder hier die Lederverarbeitung. jahrhundertelang war Santa Croce ein blühendes Zentrum dieses Handwerks. viele Straßennamen erinnern an diese Vergangenheit: Corso dei Tintori (die Färberstraße), Via delle Conce (die Straße der Gerbereien), Via dell’Acqua (die
Wasserstraße)… auch die zahlreichen Ledergeschäfte dieses Stadtviertels erinnern an diese Zeit.
In der Kirche Santa Croce sind Michelangelo, Galileo Galilei und Machiavelli begraben: Figuren der Geschichte, die wir alle seit unserer Schulzeit kennen. Damals haben wir uns Vielleicht gefragt, wozu wir so viel über ihre Geschichte lernen mussten, und heute drängen wir uns um ihre Gräber, versuchen ihre Geschichte zu erfassen, fragen uns wie solche Menschen sich am Ende ihres außergewöhnlichen Leben Gefühlt haben mögen. So ist es nun einmal: jeder Gedanken hat seine Zeit, und jede Zeit ist eine Folge von Bildern, Träumen, Wünschen und Erinnerungen, die nach und nach eine andere Farbe annehmen.
Doch kommen wir wieder auf die Kirche selbst zurück: außer den Gräbern dieser Giganten der Geschichte treffen wir hier auf Fresken Giottos und seiner Schüler und auf eines der ersten architekonischen Meisterwerke Filippo Brunnelleschis: die Cappella dei Pazzi.
… UND NATÜRLICH DER HISTORISCHE FUßBALL
Jedes Jahr finden auf der Piazza Santa Croce mehrere Spiele des „Calcio storico“, des historischen Fußballs, statt: diese Spiele erinnern an eine Provokation der Republik Florenz gegen Kaiser Karl V. Am 17. Februar 1530, als die kaiserlichen Truppen die Stadt schon mehrere Monate belagert hatten, entschloss sich die Bevölkerung zu einem Fußballspiel: das kaiserliche Heer sollte so unwichtig erscheinen, dass es keine Aufmerksamkeit verdiente. Seit damals wiederholt sich dieses Ritual fast jedes Jahr. Nur in Einzelfällen wurde es verboten, weil die Teinehmer eine Gewalt an den Tag legten, mit der sie dieses Spiel in einen wahrhaften Rachefeldzug verwandeln wollten.
Mit der Zeit wurde der Calcio storico zu einem einer – fast freundschaftlichen – Herausforderung zwischen den vier alten florentinischen Stadtvierteln: den „Bianchi“ (den Weißen) des Viertels Santo Spirito, den „Azzurri“ (den Blauen) von Santa Croce, den „Rossi“ (den Roten) des Viertels Santa Maria Novella und den „Verdi“ (den Grünen) von San Giovanni.
Die Spiele werden in der Kleidung des 16. Jh. ausgetragen, um an einen besonderen Moment der Stadtgeschichte zu erinnern. Das Endspiel wird am Nachmittag des 24. Juni ausgetragen: am Fest Johannes des Täufers, des Patrons der Stadt.
DAS FLORENZ DER ROMANE VON VASCO PRATOLINI
Neben den gedrängt vollen Straßen gibt es in Florenz eine Welt, die bis heute nicht aufgibt: eine Welt aus engen Gassen, Klängen und verschwundenen Handwerken. Wenn Sie sich ein bisschen Zeit nehmen, um durch die versteckteren Straßen zu schlendern, machen sie mit einem Mal einen Sprung in die Vergangenheit: in ein Florenz aus anderen Zeiten, das Vasco Pratolini mit unüberbotener Darstellungskraft erzählt und beschrieben hat. Eine Welt, die man mit weit offenen Augen bewundern soll und in der viele Florentiner noch heute leben. Hier gibt es noch das Gerede unter Nachbarn, den Einkauf an der Straßenecke, die Kinder, die im einzigen Garten der Stadtgegend spielen. Eine Welt, die viele Bewohner des Viertels eifrig verteidigen, indem sie sich einbringen in die Kultur des Viertels und in eine sozialen Solidarität, die Santa Croce zu einem Viertel menschlichen und kulturellen Reichtums machen.
SANT’AMBROGIO, DER MARKT UND DIE SYNAGOGE
Dasselbe Lebensgefühl finden Sie auch im Viertel Sant’Ambrogio, der natürlichen Erweiterung des Viertels Santa Croce. Seinen namen hat dieses viertel von der kirche sant’Ambrogio, der Kirche vom Heiligen Ambrosius. Hier gibt es eine Markthalle, umgeben von zahlreichen Obst und Gemüseständen, wo auch Florentiner aus anderen Stadtteilen einkaufen gehen. Am Marktplatz findet man überall Lokale und Restaurants, in denen viele derer, die in dieser Gegend arbeiten, die Mittagspause verbringen. Das religiöse Gebäude, das durch seine Größe und Schönheit am meisten ins Auge fällt, ist die Synagoge. Einige Lokale in der Nähe der Synagoge bieten jüdische Lebensmittel und Gerichte an und bezeugen so die Gegenwart der jüdischen Gemeinde in diesem Viertel.
Diese Gegend der Stadt bewahrt althergebrachte Eigenheiten der toskanischen Tradition, die wir in einigen ortstypischen Essständen, zum Beispiel bei den „trippai“, den Kuttelverkäufern, wiederfinden, und die auch den gastronomischen und handwerklichen Produkten weiterleben, die man auf dem Markt und an den umliegenden Ständen erwerben kann. Nach Sonnenuntergang verwandeln sich Santa Croce und Sant’Ambrogio vollständig und öffnen sich für das Nachtleben. Auch an tagsüber ruhigen Straßen gehen Rollläden hoch und laden die Besucher dieser Viertel in elegante Lounges, schicke Restaurants und alternative Bars ein. Sie finden ohne Mühe ein Lokal für einen Aperitiv, für ein klassisches florentinisches Abendessen oder für ein gutes Glas in einem Pub mit nordeupäischem Flair. Viele junge Leute verbringen den Abend in diesen Straßen, oft sind es Studenten aus der ganzen Welt, die eine florentinische Erfahrung in ihren Studiengang einbauen möchten. Ob sie dann in Florenz auch studieren? Wer weiß.

